Naturwissenschaftliche Bildung in Europa – Teil 3: Deutschland

Von einer sehr persönlichen Perspektive aus werde ich mal versuchen, eine Art Eindruck der universitären Bildung in Naturwissenschaften in Europa zu geben. Chronologisch – wie ich sie erfahren habe.

In Deutschland habe ich die letzten beiden Semester des Masterstudiengangs Materialwissenschaften der TU Darmstadt verbracht. Während ich im ersten dieser Semester Vorlesungen und Praktika hatte, war das letztere für die Masterarbeit reserviert. Dieser Artikel wird sich auf ersteres beschränken, da ich nur eine Masterarbeit schrieb und mir damit die Basis für einen europaweiten Vergleich fehlt.

Obwohl ich diesbezüglich von Freunden auch andere Berichte gehört habe, war das Dozenten-Studenten-Verhältnis an der TU Darmstadt geradezu traumhaft. Im Schnitt saßen maximal zwanzig Leute in einer Vorlesung. Diese wurden in erster Linie als Vorträge gehalten, und sorgfältiges Nachbereiten des Stoffes war durchaus zu empfehlen, wenn man tatsächlich begreifen wollte.

Die Praktika waren zum Großteil lehrreich und vermittelten eine doch recht große Auswahl an verschiedenen Messmethoden. Das große Plus dieser Praktika war das Kolloquium zu Beginn. Dieses diente zur Überprüfung der Vorbereitung, also des Einarbeitens in das Praktikum. Bestand man das Kolloquium nicht, musste man das Praktikum nachholen. Obwohl das den Aufwand natürlich erheblich vergrößerte, wussten die Studenten wenigstens, was sie tun, wenn sie auf “Messung starten” klicken. Die Berichte wurden zweimal korrigiert: nach einer Erstkorrektur mit darauf folgender Besprechung erhielt man die Möglichkeit, Fehler nachzubessern und damit die Endnote aufzupolieren. Persönlich finde ich die Idee gar nicht schlecht, da die Studenten zu Beginn keinerlei Einweisung in wissenschaftliches Arbeiten bekommen und diese Nachbesprechungen daher eine Art Training in Softskills ist. Im Masterstudiengang jedoch führte es zu einer großen Arbeitsbelastung zusätzlich zu den Vorlesungen und Seminaren.

Der offensichtliche Mangel an Trainingsmöglichkeiten in Bezug auf mündliche Vorträge und dem Schreiben von Berichten führte zu bisweilen unsäglich schlechte gehaltenen Seminarbeiträgen. Erstaunlicherweise ließ auch die Qualität des verpflichtenden Englischunterrichts zu wünschen übrig: während manche Studenten (natürlich in erster Linie die mit Auslandssemestern) sehr gut sprachen und auch flüssige Vorträge hielten, konnten andere nicht einmal einfache Fragen ausformulieren.

Von der Struktur her erlaubte die Materialwissenschaftsfakultät beträchtliche Freiheiten. Nicht nur im eigenen Fachbereich konnte ein Großteil der Vorlesungen frei gewählt werden, auch konnten Kurse in der Chemie, Physik, bei den Maschinenbauern oder Informatikern angerechnet werden. Ein großes Plus waren auch die Fremdsprachenmöglichkeiten, welche angemessen viele Credits einbrachten: von Chinesisch über Japanisch, Französisch bis Russisch konnte man über das Sprachenzentrum seine Fähigkeiten entwickeln und verbessern.

Die Qualität der Vorlesungen war im Schnitt ausgesprochen gut, mit hoher Motivation der meisten Dozenten, von denen viele auch die Fähigkeit besaßen, freie Vorträge mit ergänzenden Ausführungen an der Tafel zu halten, statt sich auf Teufel komm raus an eine PowerPoint Präsentation zu klemmen.

Schwierigkeiten gab es hingegen in administrativen Fragen. Zunächst einmal wurde Information überhaupt nicht weitergegeben, schon gar nicht rechtzeitig. Zum Beispiel rannte eine Kommillitonin einen halben Tag verzweifelt durch mehrere Gebäude, um sich ihren Englischkurs anerkennen zu lassen, was dann “ausnahmsweise” huldvoll genehmigt wurde, anstatt ihr von Anfang an mitzuteilen, welchen Kurs sie belegen muss. Einen Professor zu erreichen war nahezu ein Ding der Unmöglichkeit. E-mails wurden zum Teil grundsätzlich nicht beantwortet. Aber selbst wenn man selbst versuchte, sich Informationen zu beschaffen, fühlte sich dann niemand verantwortlich; man wurde im Kreis herumgeschickt und erreichte am Ende gar nichts, weil Formular A38 noch nicht ausgefüllt war. Die Aufspaltung in Fachgebiete, die gefühlt nichts miteinander zu schaffen haben wollen, aber alle unterschiedliche Vorstellungen von Formaten für Arbeiten haben, führte gelegentlich zu Verwirrungen.

Positiv anzumerken sind die mündlich abgehaltenen Prüfungen. Dies ermöglichte einerseits, tatsächlich zu demonstrieren, was man wusste, statt die Prüfung aufgrund eines Flüchtigkeitsfehlers bei Frage 7 b Unterpunkt 2 zu vergeigen. Andererseits war es schwieriger, “auf Lücke” zu lernen, da man ja nicht wusste, welcher Teil abgefragt wurde. Hatte man Pech, musste man genau das wissen, was man gerade nicht gelernt hatte, während in einer schriftlichen Prüfung dann nur etwa 20% fehlen würden.

Insgesamt betrachtet machte das Darmstädter System auf mich den Eindruck von großer Freiheit in der Spezialisierung, welcher aber offensichtlich mit einem Hang zu fehlenden oder falschen Informationen gekoppelt war. Positiv hervorheben lässt sich auch die Wahl äußerst aktueller Themen für die Vorlesungen, die einem auch eine breitgefächterte Vorstellung über die aktuellen Forschungsmöglichkeiten gewährleistete.

Advertisement
Posted in Bildung, Uncategorized | Tagged , , , , , , , , | Leave a comment

Naturwissenschaftliche Bildung in Europa – Teil 2: Frankreich

Von einer sehr persönlichen Perspektive aus werde ich mal versuchen, eine Art Eindruck der universitären Bildung in Naturwissenschaften in Europa zu geben. Chronologisch – wie ich sie erfahren habe.

Gleich zu Beginn möchte ich erklären, dass meine zwei Semester in Frankreich im Rahmen des internationalen Studienprogramms FAME stattfanden, was möglicherweise dazu führte, dass ich andere Erfahrungen gemacht habe als der “standard” Student in Frankreich.

Frankreich hat das seltsame System, Ingenieure nicht an Universitäten auszubilden, sondern an den sogenannten Écoles d’Ingénierie. Obwohl man Naturwissenschaften und Ingenieurwesen durchaus auch an Universitäten studieren kann, bevorzugen Arbeitgeber bei weitem Studenten der écoles. Was meiner Meinung nach völlig hirnrissig ist.

Kurze Erklärung. Nach dem Abitur lernen die Studenten wie verrückt, um die Aufnahmeprüfungen zu den classes préparatoires zugelassen zu werden. Das sind zwei Jahre der Hölle an irgendeinem Ort in Frankreich, der aber völlig gleichgültig ist, da die Studenten buchstäblich jede wache Minute mit Lernen oder Unterricht verbringen. Mathematik und theoretische Physik werden gepaukt bis zum Umfallen. Am Ende der Prépa entscheidet die Note, an welche école man kommen kann. Die besten gehen nach Paris, und dann das Ranking hinunter. Nun kommen drei Jahre der Entspannung: es finden zwar jeden Tag ungekürzt acht Stunden Unterricht statt, aber die Prüfungen sind vergleichsweise einfach und die Benotung nicht mehr so lebenswichtig. Die Sommerferien sind vier Monate lang um Praktika in Industrie und Forschungseinrichtungen zu erlauben. Nach fünf Semestern folgt ein Semester Praktikum, welches wie eine Masterarbeit gehandhabt wird, und im Anschluss wird ein Diplom verliehen.

Soviel zur Theorie. Tatsache ist, die meisten Studenten sind nach zwei Jahren Prépa an oder jenseits der Schwelle zum Burnout. Daraus folgt wiederum, dass dem Unterricht nicht gefolgt wird. Auch hier herrscht Anwesenheitspflicht, aber die Klassenräume ähneln eher Cafés als Seminaren. Dafür wird exzessiv getrunken. Richtig reinhängen tun sich die Studenten dann in ihre Praktika, denn hier geht es um den zukünftigen Beruf. Man versucht, Kontakte zu Alumni seiner Schule zu knüpfen und neue Verbindungen zur Industrie zu finden.

Die Praktika in der Schule sind eher praktische Vorführungen. Es gibt in der Theorie auch sogenannte Langzeitprojekte – theoretische und praktische – doch während das theoretische eine reine Bücherrecherche ist, sind die praktischen eine Art Tag der offenen Tür bei einem Forscher. Da keinerlei softskills vermittelt werden hat man den kuriosen Fall, dass Studenten im achten/neunten Semester völlig unfähig sind aus Quellen zu zitieren, wissenschaftliche Arbeiten zu strukturieren oder zu formulieren und von mündlichen Vorträgen will ich gar nicht erst reden.

Wenn mal jemand von verschultem Studium reden will, ist Frankreich das richtige Objekt. Vorlesungen sind aufgebaut wie Schulunterricht mit Tafelanschrift zum kopieren. Es gibt zwei Versionen: entweder es wird extrem wenig Stoff vermittelt, dafür aber fünfmal hintereinander erklärt, bis es der letzte Depp geschnallt hat, oder es wird extrem viel Stoff desinteressiert und in einer einschläfernden, sonoren Art heruntergerattert, bis auch der letzte Depp eingeschlafen ist. Jede Unterrichtseinheit dauert 120 Minuten, ohne Pause. Es ist buchstäblich unmöglich, sich so lange zu konzentrieren, selbst wenn man es versucht.

Die Prüfungen fragen ausschließlich den Stoff der Skripte ab, was natürlich jedwede Heimarbeit und individuelles Lernen überflüssig macht. Besonders erstaunlich mutet an, dass französische Studenten unglaublich fit in Mathe sind – die integrieren Gleichungen mit drei Unbekannten und leiten sie nach der Zeit ab um dann die Annährung an Null zu bestimmen. Es ist wirklich faszinierend. Leider fehlt ihnen aber jegliches Gespür für die sie umgebende Welt, die sie da eigentlich berechnen. Sie reflektieren ihre Ergebnisse nicht, kommen selten auf den Gedanken, ihre Annahmen zu überprüfen und merken nicht, dass sie physikalische Unmöglichkeiten behaupten.

Seltsamerweise scheint das aber auch nicht besonders wichtig zu sein: die écoles d’Ingénierie arbeiten ausgesprochen eng mit Forschungseinrichtungen und vor allem mit der Industrie zusammen und haben daher Einstellungsquoten unter ihren Absolventen, von denen Universitäten nur träumen können. Abgesehen von technischen Fächern ist zumindest Englisch Pflicht, Managementkurse stehen auf dem fixen Stundenplan und wöchentlich einmal Sport ist vorgeschrieben.

Auch in Frankreich gibt es ein reges Studentenleben – Vereinigungen, Klubs, Partys. Die Mensen sind akzeptabel und nicht sehr teuer. Obwohl das Lehrer-Studenten-Verhältnis wie an der Schule ist, zeigen die meisten Dozenten wenig persönliches oder fachliches Interesse an ihren Studenten. Die Open-Door Policy Englands ist hier weitestgehend unbekannt. Informationsfluss – gibt es keinen.

Fazit: Die französische Ingenieursbildung ist von hohem Stellenwert der Theorie geprägt und hat eher den Charakter einer intensiven Schullaufbahn. Darüberhinaus werden die Absolventen bei ihrem Weg in den Beruf stark unterstützt.

Posted in Bildung | Tagged , , , , , , , | Leave a comment

Naturwissenschaftliche Bildung in Europa – Teil 1: England

Von einer sehr persönlichen Perspektive aus werde ich mal versuchen, eine Art Eindruck der universitären Bildung in Naturwissenschaften in Europa zu geben. Chronologisch – wie ich sie erfahren habe.

Und somit landen wir bei England. Ich werde mich auf England konzentrieren, vielleicht den ein oder anderen überlieferten Kommentar aus Schottland einflechten, aber von Wales und Nordirland weiß ich nichts, daher halt ich den Mund.

Ich habe von nicht wenigen mir die Verteufelung des englischen Bildungssystems anhören müssen, weil es angeblich die von vielen ziemlich verurteilte Modularisierung der deutschen Studiengänge im Rahmen des Bologna-Prozesses erfunden hat. Ich behaupte jedoch, dass das nicht stimmt. Meine erste Studienerfahrung war in England, und ich habe mitunter sehr gute Erinnerungen daran, dies ist also nicht als objektive, allgemeingültige Studie zu verstehen, sondern als eine Art Vorstellung.

Das englische Universitätssystem besteht aus vier Ebenen: Oxbridge (Oxford und Cambridge), der Russell Group, allen anderen Unis und Colleges. Beherrscht wird dieses System (abgesehen vielleicht von Oxbridge) von einem allmächtigen Imperator, dem Ranking. Wer hoch im Ranking steht, kriegt viele zahlende Studenten, aber auch Fördergelder. Also wollen alle hoch im Ranking stehen. Colleges bezeichnen je nach Standort eine Art FOS oder eine FH. Oxbridge ist immer noch die Krone der Schöpfung, dafür hält es sich auch.

Ich habe in England Materialwissenschaften und Ingenieurwesen studiert. Fachlich gesehen waren die ersten zwei Jahre eher langweilig. Viele Grundlagen, keinerlei Auswahlmöglichkeiten – doch das ist wohl allen naturwissenschaftlichen Studiengängen ähnlich – man muss erst einmal die physikalischen und mathematischen Grundlagen schaffen, bevor man zu den interessanten Dingen kommt, wie Supraleiter, Solarzellen und Superparamagnetische Nanopartikel. Das leuchtet durchaus ein. Auch der Zwang, Dinge wie Project Management lernen zu müssen, ist in Wirklichkeit durchaus nützlich, egal, welchen Beruf man am Ende macht.

Das richtig nervige war die Anwesenheitspflicht – theoretisch muss man an jeder Vorlesung teilnehmen. Das ist natürlich Blödsinn, weil manche einfach langweilig und kontraproduktiv sind. Andererseits ist in England das Ziel, etwa 15% der Studenten im ersten Jahr loszuwerden – und den Rest aber bis zum Abschluss zu bringen. Klausuren sollen so konzipiert seien, dass die meisten Studenten durchkommen – dafür gibt es nur eine Wiederholungsmöglichkeit und keine Gelegenheit, eine nicht genehme Note zu verbessern.

Letzendlich verwehrt einem eine englische Universität das Studieren von Nebenfächern – allerdings gibt es durchaus Doppelstudiengänge, in denen man z.B. Irish Literature and Music kombinieren kann. Nachdem aber ein Ingenieursstudiengang in erster Linie Ingenieure produziert, besteht zumindest die University of Liverpool darauf, ihren Studenten auch die erwarteten Kenntnisse zu vermitteln: wie funktioniert ein Designprozess? Wie arbeitet man im Team? Wie motiviert man Mitarbeiter? Wie schreibt man überhaupt einen Bericht? In Schottland arbeiten Ingenieurstudenten von Anfang an oft mit professionellen Ingenieuren zusammen um so gleich die Anwendung ihres Studiums zu erlernen.

Der Prozess, aus Schülern Studenten zu machen, findet in England erst in den ersten vier Semestern statt. In Deutschland ist der Plan, dass dieser Prozess in der Kollegstufe erfolgen sollte – was aber ehrlich gesagt nicht gerade gut funktioniert… Im Laufe des Studiums werden aus den doch sehr einfachen, mehr oder weniger diktierten Praktika kleine Projekte welche schließlich in die Bachelorarbeit münden. Man kann sich darüber beschweren, dass die Studenten nicht gleich als solche behandelt werden – spätestens im letzten Studienjahr aber war in den Materialwissenschaften viel Eigenregie und zusätzliche Lektüre verlangt. Das Studium verlagerte sich auch außerhalb der Prüfungsphase nach Hause oder und in die Bibliothek und fand nur noch leitfadenartig in den Vorlesungen und Seminaren statt.

Was ich hier mal klären möchte: der Bachelor ist keine Voraussetzung für einen Masterstudiengang. Man schreibt sich gleich in einen Masterstudiengang ein, denn man aber bei Bedarf ein Jahr früher mit einem Bachelorabschluss verlassen kann. Auch kann man sich aus dem Bachelor bei angemessenen Leistungsnachweisen in den Master umschreiben lassen. Wer möchte, kann natürlich einen Bachelor machen und dann an einer anderen Uni und/oder in einem anderen Fach mit dem Master weiterstudieren, man hat dann zum Beispiel die Kombination Bachelor of Engineering und Master of Business oder Master of Business Administration. Genauso ist es aber auch möglich, nach dem Bachelor eine Doktorarbeit zu schreiben und sich somit für eine eher akademisch geprägte Laufbahn zu entscheiden.

Was ich dagegen durchaus anprangern möchte ist das Fehlen von Experimentalvorlesungen – völlig egal, wie gut das Video im Powerpoint ist, nichts ersetzt den Anblick des Professors, der mit einem Gewehr auf eine sich drehende Scheibe feuert… Dennoch ist es gut, dass die Dozenten angehalten werden, Fortbildungskurse in Pädagogik zu besuchen, sich gegenseitig bei Vorlesungen zuhören und insgesamt wenigstens versuchen, die Qualität der Vorlesungen zu verbessern. In den ersten vier Semestern wird man von einem persönlichen Tutor betreut. In der Theorie ist diese Person die erste Anlaufstelle, wenn man Fragen hat. Um den meinigen zu zitieren: er weiß vielleicht nicht die Antwort, aber er kann einem sagen, wer die Antwort wissen könnte. Überhaupt muss ich die Kommunikation an englishen Universitäten loben: Prüfungen, Praktika, Voraussetzungen und Noten werden rechtzeitig und verständlich kommuniziert, es gibt eine zentrale Studentenverwaltung, die administrative Fragen regelt.

Zum Studentenleben in England gehört die Student Union unabdingbar dazu. Grob entspricht das wohl dem Asta. Allerdings gehört der Student Union immer ein Gebäude auf dem Campus. Die Union umfasst sämtliche Clubs, Studentenorganisationen, und bildet die Stimme der Studentenschaft. Der Senat muss bei wichtigen Entscheidungen Studentenvertreter zu den Sitzungen einladen. Die Union unterstützt Studenten bei der Gründung und Administration von politischen, künstlerischen, fachlichen Gruppen (es gehört auch die Pillowfight Society dazu…). Sie organisiert Studentenparties (etwa einmal die Woche, manchmal öfter) und bietet Räume für Theateraufführungen, Debattierklubs und dergleichen. Die Unions koordinierten aber auch die Proteste gegen das Einstampfen gewisser Studiengänge (Philosophie, zum Beispiel) und gegen steigende Studiengebühren.

Was auffällig fehlt ist jedoch eine Mensa – und wer sich über das Mensaessen beschwert, sollte mal drei Jahre lang Sandwiches zum Mittagessen versuchen…

Alles in allem ist das englische Studium vielleicht am Anfang tatsächlich etwas zu sehr bemutternd und bietet einem wenig Möglichkeiten, außerhalb oder anstatt der vorgeschriebenen Vorlesungen und Kurse alternative Veranstaltungen zu besuchen. Andererseits zwingt sie einen auch, sich den berühmten Softskills zu widmen, die nun einmal nötig sind im Beruf. Desweiteren ist auffällig, dass die Dozenten sich um ihre Studenten privat bemühen. Wer Initiative und den Wunsch zum Lernen zeigt, bekommt mehr Tipps, Vorschläge und Hilfestellung, als er sich wünschen kann.

Posted in Uncategorized | Leave a comment

Zum Frauentag

Aus gegebenem Anlass mal wieder ein weniger wissenschaftlicher Artikel. Das iom3 (Institute of Materials, Minerals and Mining) hat letztens in seiner Zeitschrift eine recht groß angelegte interne Studie veröffentlicht, warum es – immer noch! – so weniger Frauen in technischen Berufen gibt. Nachdem die Damen – Ingenieurinnen, Professorinnen, Wissenschaftlerinnen – mehr oder minder mit denselben Argumenten aufwarten konnten, die ich schon seit Jahren von mir gebe, ist möglicherweise etwas dran. Alle Frauen seien aufgefordert, mir zuzustimmen oder zu widersprechen.

  1. Erziehung. Oder besser gesagt: das kontinuierliche Eintrichtern von mangelndem Selbstwertgefühl im technischen und naturwissenschaftlichen Bereich. In meiner persönlichen Erfahrung ging das in der Grundschule los und zog sich bis zum Abitur. Andauernd hatte man Lehrer und Eltern, die einem bei jeder sich bietenden Gelegenheit erklärten, dass Mädchen in Mathe und Physik nicht so gut seien wie die Jungs. Angeblich sei das “statistisch bewiesen”. Ich glaube davon kein Wort. Aber Kinder sind so beeinflussbar, sie sind es gewohnt, die Aussagen von Erwachsenen für bare Münze zu nehmen. Wenn man ihnen nur lange genug vorbetet, dass sie es eh nicht können, dann werden sie es glauben – und dementsprechend Naturwissenschaften ablehnen, abwählen und garantiert nicht studieren. Denn wenn man es tatsächlich mal geschafft hat, bis zum Abitur durchzuhalten, und nun verlauten lässt, dass man gerne Physik studieren möchte, kommt sofort die ungläubige Reaktion “und das traust Du Dir zu?”. Nach dem zehnten Mal fängt selbst die zuversichtliche Schülerin an, daran zu zweifeln, ob sie es sich zutraut.
  2. Fehlende Vorbilder. Dies ist eher ein Argument von Seiten des iom3. Gewissermaßen mag das stimmen – man neigt dazu, zumindest als Kind die Berufe in Erwägung zu ziehen, die die Erwachsenen um einen herum haben. Da es kaum weibliche Ingenieure gibt, könnte man auf die Idee kommen, dass wenige Mädchen auf die Idee kommen, Physik zu studieren. Nun hatte ich allerdings den Fall einer Mutter mit einem naturwissenschaftlichen Diplom – und wenn ich ehrlich bin, ist es wohl ihrem Einfluss zuzuschreiben, dass ich mir erlaubt habe, zumindest Chemie so sehr zu lieben, dass ich mich durch meinen Leistungskurs in ein naturwissenschaftliches Studium habe drängen lassen – und bin überglücklich darüber. An der Universität wird man nämlich endlich einmal tatsächlich gleichgestellt mit männlichen Studenten.
  3. Mangelnde Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Das ist allerdings kein naturwissenschaftliches Problem – das ist ein globales Problem, zu dem es einiges zu sagen gäbe. Wir befinden uns in der etwas unrealistischen Situation, dass von einem erwartet wird, eine Karriere zu haben, und die Familie dem anzupassen. Als könnte man der Natur ein derartiges Schnippchen schlagen! Hunderttausend Jahre Evolution haben dazu geführt, dass Frauen Kinder haben wollen, und dass das beste Alter dafür nun einmal zwischen zwanzig und dreißig liegt. Eher in der ersten Hälfte dieses Zeitraums. Inzwischen gilt aber sogar während des Studiums zu heiraten in diesem Land als Ankündigung, dass man keine Karriere möchte – ich muss es wissen, ich bin verheiratet und musste mir eine Menge Kommentare disbezüglich anhören. Die ganze Welt meckert darüber, dass wir nicht genug Kinder bekommen – und gleichzeitig macht man es einem unsäglich schwer, die Kinder dann zu bekommen, wenn es biologisch vorgesehen ist. Die meisten Frauen haben Angst, abgeschrieben zu werden, und warten so lange mit dem Kinderkriegen, bis es zu spät ist. Das richtig Traurige an der Sache ist, dass sich die meisten Frauen nicht einmal mehr trauen, an diesem System zu rütteln. Sie arbeiten härter als irgendeiner ihrer männlichen Kollegen, akzeptieren schlechtere Bezahlung, höhere Krankenkassenbeiträge und verzichten ohne zu murren darauf, Kinder zu bekommen. Sie treiben sich in den Burn-out in dem Versuch “mit den männlichen Kollegen mithalten zu müssen”.

Ich glaube langsam, die Frage ist nicht, warum so wenige Frauen naturwissenschaftliche Berufe ergreifen, die Frage ist eher, warum wir diesen unhaltbaren Zustand ertragen? Wir verhalten uns als müssten wir den Männern gegenüber dankbar sein, dass sie uns zu schlechteren Bedingungen arbeiten lassen. Ganz ehrlich – stattdessen sollten wir uns ein Beispiel an den Frauen in Afrika und den USA nehmen und in Sexstreik treten, bis wir 50% weibliche Firmenvorstände haben, mindestens 45% Ingenieurinnen, und verdammt nochmal faire Bezahlung und Krippenplätze sowie eine Flexibilisierung des Studiensystems vom Bachelor bis zur Habilitation die es uns erlaubt, Kinder zu bekommen, wenn wir es wollen. Karrieren gehören um die Familie herumkonstruiert, nicht anders herum. Warum tun wir das nicht?

Ich glaube, ein Problem ist tatsächlich die gesellschaftliche Auffassung, dass Frauen, die arbeiten, Rabenmütter wären. Nun kenne ich zufällig eine Menge berufstätiger Frauen – die von ihren Kindern vergöttert werden. Man kann über den Sozialismus viel sagen – aber er hat dafür gesorgt, dass Frauen völlig natürlich und problemlos studieren, dabei Kinder kriegen und arbeiten können. Keines dieser Kinder war mehr vernachlässigt als die Kinder von Frauen, die daheim sind. Dennoch lassen wir uns mit derselben Masche einlullen, die schon das Christentum benutzt(e) – ein kontinuierlich schlechtes Gewissen. Wir werden dazu gebracht uns für jede Stunde Arbeit, die wir leisten, für jeden Erfolg, schuldig zu fühlen, weil das ja bestimmt auf Kosten unserer Kinder geht.

Das zweite Problem ist meiner Meinung nach die Art und Weise, in der die feministische Fraktion sich den Respekt verspielt. Meine Achtung an die Soufragetten, aber irgendwie assoziieren wir Feminismus inzwischen mit Diskussionen ob es frauenverachtend ist, “Studenten” zu sagen, oder ob man tatsächlich zu Salzstreuerin übergehen sollte. Wenn also nun eine Frau zu Recht protestiert, dass sie weniger bezahlt bekommt, obwohl sie mehr arbeitet und das Firmenkonto nicht für die Begleichung ihrer Bordellschulden benutzt, dann lautet die Antwort darauf: “jaja, und als nächstes müssen wir Arbeiter_Innen sagen”. Selbst wenn man also aus der Falle des schlechten Gewissens rauskommt, wird man also nicht ernst genommen.

Ich habe auch keine Lösung, aber ich möchte von ganzen Herzen zum Internationalen Frauentag gratulieren, den vielen Frauen, die arbeiten, schaffen, Kinder erziehen, forschen, kämpfen und leiden, den Frauen Zentralafrikanischer Staaten, die mit Sexentzug für Demokratie kämpfen, den Liberal Ladies Who Lunch, den Bewohnerinnen des Dorfes Umoja.

Posted in Politik | Tagged , , , , , , | Leave a comment

Pearls are a girl’s best friends…

…zumindest, wenn sie Materialwissenschaftlerin ist. Perlen sind wahnsinnig faszinierend: wie vieles, was die Natur hervorbringt, sind sie perfektes Design. Nichts ist überflüssig aber alles ist notwendig.

Während die äußere Schale des Roten Mehrohrs aus Calcit besteht, ist der Hauptbestandteil der inneren Schale Aragonit. Aragonit ist chemisch gesehen genauso Kalk wie Calcit, aber es hat eine andere crystallographische Struktur.

Hier ein kleiner Exkurs in die wunderbare Welt der Kristallographie. Nahezu alles – aber doch wesentlich mehr als man so gemeinhin denkt – hat auf atomarer Ebene eine Ordnung. Das liegt einfach daran, dass sich Atome und besonders Ionen gerne so anordnen, dass die gegenseitigen Wechselwirkungen zum Zustand mit der niedrigsmöglichen Energie führen. Metalle zum Beispiel sind durch die Bank kristallin, abgesehen von ein paar exotischen Forschungsobjekten in Laboren. Plastikflaschen haben ebenfalls zumindest eine semikristalline Struktur. Die große Ausnahme ist eigentlich nur Glas – Fensterglas, Trinkgläser und Flaschen werden aus dem flüssigen Zustand so schnell heruntergekühlt, dass die Ionen keine Zeit haben, zu ihrem “Lieblingszustand” zu finden.

Ein Kristall ist im Grunde nichts anderes als eine periodische Ordnung. Will heißen ich kann in einem riesigen Stück Einkristall eine kleinste Einheit finden (völlig unerwartet Einheitszelle genannt…) und diese beliebig kopieren und an die ursprüngliche Einheitszelle anfügen um zum Ganzen zu kommen. Wenn ich ganzzahlige Vielfache der Einheitszellenparameter in die richtige Richtung laufe, komme ich immer wieder an einem “Ort” vorbei, der genauso ist, wie der Ursprung, also zum Beipiel treffe ich immer wieder auf ein Calciumion. Kristallographie ist unheimlich wichtig, weil es nicht nur die chemische Zusammensetzung eines Stoffes ist, die seine Eigenschaften bestimmt, sondern in ganz entscheidendem Maße seine kristallographische Struktur. Lieblingsbeispiel aller Naturwissenschaftler ist der Kohlenstoff. Als Graphit grau, brüchig, weich und äußerst praktisch für Bleistifte. Als Diamant das härteste Material, das wir kennen, lichtdurchlässig, und äußerst praktisch um es in Goldfassungen um den Hals zu tragen. Chemisch gesehen besteht zwischen den beiden absolut kein Unterschied (ich sage chemisch gesehen – so ganz stimmt das nicht, denn die Bindungen in Diamant sind verschieden von den Bindungen in Graphit. Was ich meine, ist, dass wenn man Diamant und Graphit in Atome zerlegt, z.B. durch eine Plasmaflamme, man ein und denselben Kohlenstoff erhält, sonst nichts.)

Zurück zu unserer Abalone namens rotes Meerohr. Das Perlmutt ihrer inneren Schale ist also Aragonit. Aragonit kristallisiert in flachen Plättchen und ist ungeheuer brüchig. Ungefähr so, wie die innere Schale einer Erdnuss, diese feine, trockene, braune Haut auf der eigentlichen Nuss – zerfällt schon beim Draufschauen… Wie kommt also die Muschel auf eine so blöde Idee, dass in ihre Schale – ihren Schutz! – einzubauen?! Das wäre ein bisschen als hätte man schusssichere Westen aus normalem Fensterglas.

Aragonit (copyright 2010 R.Weller, Cochise College)

Aragonit (copyright 2010 R.Weller, Cochise College)

Der springende Punkt ist das kleine Wort “überwiegend” im Satz “die Schale besteht überwiegend aus Aragonit”. Die winzigen Aragonitplättchen (wir reden von 5-10 µm Durchmesser und nur etwa 250 nm Höhe) werden von hauchdünnen (10 nm) organischen Schichten (Proteine und Polysaccharide) wie von einem Kleber zusammengehalten. Außerdem sind die Plättchen leicht verschoben und verkantet und gewinnen so zusätzliche Stabilität. Die Bruchfestigkeit nimmt im Vergleich zum reinen Einkristall durch 5% organischen Kleber um das 3000 fache (in Worten: dreitausend!) zu.

Elektronenmikroskopaufnahme einer zerbrochenen Muschel

Elektronenmikroskopaufnahme einer zerbrochenen Muschel

“Brüchig” in Materialwissenschaft heißt im Grunde nur, dass ein hauchfeiner Riss (und jeder Kristall hat Risse in der Oberfläche, wir sind hier nicht in der Welt des Perfekten) durch sehr wenig Kraft propagiert, also wandert. Der Kristall spaltet sich also auf. Sogenannte “zähe” Materialien (z.B. Stahl) reagieren auf Druck durch Verformung, also die Atome verschieben sich und verbrauchen dabei die Energie des Aufpralls ohne dass das Werkstück selbst sofort auseinanderbricht, während die Ionen in einem Kristall quasi ihre Bindungen zerreißen.

Der organische Kitt zwischen den Aragonitplättchen fungiert nun als eine Art Energieabsorbierer. Die Plättchen können sich verschieben, der Kleber kann sich ausdehnen – aber die Gesamtstruktur bleibt erhalten. Ein Plättchen kann sogar unter Umständen zerbrechen und reißen – doch der Riss hört zwangsweise am Kitt auf und läuft somit nicht durch die gesamte Muschel. So funktioniert Panzerglas. Zwischen den Glasplatten ist ein Polymer, dass die zerbrochenen Glasstücke zusammenhält und die Energie vom Aufprall eines Projektils “schluckt” und weiterlenkt.

Soviel also zum Perlmutt – es ist das Panzerglas der Muschel, nur, dass es mehr ein Panzerkristall ist. Wie kommen wir nun zu den Perlen? Ein winziger Fremdkörper, den die Muschel vielleicht bei der Nahrungsaufnahme unbeabsichtigt verschluckt hat, oder sogar Viren und andere Schädlinge gelangen in die Abalone. Um sich von diesem Fremdkörper zu isolieren, umgibt die Muschel es mit einer Schicht aus Perlmutt. Diese Schicht wächst über die Jahre und formt eine perfekte, runde Kugel. Weil Menschen aber sehr ungeduldig und geldgierig sind, haben sie keine Lust, so lange zu warten und pusten der Muschel stattdessen Sandkörner in den Rachen. Diese werden dann von einer dünnen Perlmuttschicht umgeben, können geerntet und verkauft werden – aber sie sind nur außen Perle, innen drin steckt profanes Siliziumoxid.

Wir haben uns jedoch auch die Methode der Muschel abgeschaut, zum Beispiel um hauchdünne Schichten auf einem Substrat abzusondern. Wir können Moleküle bauen, die am einen Ende besonders gerne zum Beispiel auf siliziumoberflächen hängen, und am anderen an Titaniumdioxid. Also können wir sie alle auf die Siliziumoberfläche aufbringen und diese fischen dann das Titanion aus einer Lösung heraus. Mit Sauerstoff wächst so eine hauchdünne Schicht Titandioxid auf dem Silizium. Je nachdem, wie dick diese Schichten sind (also wie lange wir den Wachstum erlauben) können wir zum Beispiel die Farbe verändern. Die Möglichkeiten sind unbegrenzt.

Posted in Forschung, Mensch und Natur | Tagged , , , , , , , , , , , , , , , , | Leave a comment

Dinge, die unverständlich sind…

Verschwörungstheorien geistern wie Krebs durch die Gesellschaft, aber ich muss zugeben – manchmal könnte glatt ich auf die Idee kommen, dass hier nicht alles mit rechten Dingen zugeht.

Wir preisen uns stets, eine “zivilisierte Gesellschaft” zu sein, die gegen Ausbeutung und Umweltverschmutzung steht. Ohne jetzt all zu ausfallend werden zu wollen: zivilisiert my a**! Alles, was wir besitzen oder kaufen, ist das Produkt von Ausbeutung oder Kinderarbeit oder unnötiger Grausamkeit. Nehmen wir doch mal einen durchschnittlichen Morgen. Der berühmt-berüchtigte Otto Normalbürger wird durch das Summen eines digitalen Weckers geweckt, der von Kindern in Südostasien, die unter Giftgasatmosphäre stehen, zusammengeschraubt wurde.

Nachdem er sich aus den in Sweatshops gebleichten Baumwolllaken, die immer noch bevorzugt aus von Kindern gepflückter Baumwolle hergestellt werden,  herausgewühlt hat, schlüpft er in Jeans und T-Shirt, die von Kindern und Jugendlichen in europäischen oder indischen Fabriken ohne Schutz oder Luft hergestellt wurden. Zu einem Preis, der auf den Monatslohn gerechnet hier für einen Besuch bei McDonald’s reicht.

Der Kaffee auf Plantagen gepflückt von Arbeitern, denen es bei Lichte betrachtet schlechter geht als den amerikanischen Sklaven – die haben am Ende des Tages was zu essen bekommen. Dazu gibt es frisch gekocht ein Hühnerei, dessen Legerin mit zwölf weiteren in einem Schuhkarton lebt, ohne jemals im Leben das Licht der Sonne zu erblicken.

Danach schlüpft er in seine Lederschuhe – den Kühen, die das Leder vorher als Haut trugen, geht’s in etwa so gut wie den Legehennen, wenn nicht schlechter – , welche wiederum in Sweatshops oder Kinderarbeit zusammengenäht wurden, und spaziert pfeifend über eine Straße, die von illegalen Einwanderern zu einem Hungerlohn und ohne Krankenversicherung verlegt wurde. Und beklagt sich dabei natürlich noch darüber, dass der “Ausländer” ihm seinen Job wegnimmt… aber das ist eine andere Geschichte.

Mal abgesehen von der wahrhaft furchteinflüßenden Tatsache, dass das absolut niemanden zu kümmern scheint, finde ich richtig beängstigend, wie schwierig es ist, das berühmte verantwortungsbewusste Einkaufen.

Ich war letztens auf einem Bauernhof, der seine ach-so-moralische Tierhaltung betont (allerdings nicht Bio-zertifiziert). Hat mich zu einer erzwungenen Vegetarierin gemacht, und das war nicht einmal ansatzweise die Sorte Fleisch, die im Supermarkt landet… die armen Kühe haben mich zum Heulen gebracht. Sie standen auf schmutzigen Stangen, damit man nicht ausmisten muss. Für Paarhufer muss es unheimlich schmerzhaft sein, wenn sich die Stange von fünf Zentimetern Durchmesser in den Fuß bohrt. Meine Großeltern hielten Schweine. Ich habe auch größere Schweinebetriebe gesehen – beide hatten Stroh unter ihren Tieren. Ich habe nichts dagegen, Tiere zu essen und ihrer Milch und Eier wegen zu halten. Aber ich finde, man dürfte durchaus darauf bestehen, dass diese Tiere, solange sie leben, ihren Spaß daran haben. Was die erhöhten Kosten betrifft: man muss wirklich nicht jeden Tag Fleisch essen…

Noch interessanter ist aber, dass der Preisunterschied zwischen “normal” und “fairtrade oder bio” nirgends so groß ist wie in Deutschland, jedenfalls gefühlt. Sobald auf einem Tee “fairtrade” draufsteht, kostet er nicht das doppelte, sondern das fünffache. Vielleicht liegt es ja daran, dass wir das schlechteste Essen haben, aber es führt jedenfalls dazu, dass sich so Studenten wie ich entweder auf Protesthungerstreiks begeben müssen oder zwangsweise gelegentlich zum Produkt aus Ausbeutung, Sklaverei und Tierquälerei zurückgreifen zu müssen.  Es ist einfach ansonsten nicht bezahlbar. Und das allein stinkt schon gewaltig zum Himmel, wenn man doch in England Schokoriegel zum vergleichbaren Preis von fairtrade und nicht-fairtrade Marken kaufen kann.

Was Kleidung angeht, ist die Situation noch hundertmal schlimmer. Der Witz ist, selbst wenn man sich dann in letzter Not über’s Internet Klamotten aus den USA bestellen muss, die wenigstens behaupten, den Profit mehr oder weniger an Fraueninitiativen in Ghana und Bangladesch umzuleiten, aber dabei noch keine 180 € pro T-Shirt verlangen, dann kassiert der deutsche Zoll auch noch daran. Genau genommen verdient der deutsche Staat also auch noch an den Zolleinnahmen, die entrichtet werden müssen, wenn man ein T-Shirt haben möchte, das keine Existenzen zerstört.

Liverpool hatte ganze Straßenzeilen mit Geschäften, die in lokalen Miniunternehmen aus Müll hergestellte Geschenkartikel, Schachteln, Möbel und Kleidung verkaufen. Zu völlig akzeptablen Preisen. Ich alleine kenne drei Cafés, die ausschließlich fairtrade schokolade und freilandeier verwenden. Selbst London ist voller Gebrauchtwarenladen, deren Erlöse direkt an Krankenhäuser, Krebsinitiaven oder SOS Kinderdörfer geht. Wir haben seit neuestem immerhin Oxfam – hilft wenigstens gegen das sinnlose Wegwerfen von Dingen, die noch in einwandfreiem Zustand sind.

Ich glaube, die meisten wären bereit, ein paar Prozent mehr zu bezahlen, wenn sie sich sicher sein könnten, damit Schaden von Mensch und Tier abzuhalten. Also warum ist es so schwer? Zufall? Oder steckt vielleicht doch ein System dahinter?

Ich finde, die Muster sind etwa so unauffällig wie die systemische Ungerechtigkeit des deutschen Bildungssystems.

Posted in Mensch und Natur, Politik | Tagged , , , , , , , , , | Leave a comment

Englisch – ein Kurzkommentar

Englisch zu können scheint oft eine essentielle Fähigkeit zu sein um zumindest im Berufsalltag zu überleben. Einerseits gar nicht so schlecht, weil viele Kommunikationsbarrieren fallen, wenn man sich zumindest grundlegend direkt verständigen kann. Andererseits bin ich mir nicht so sicher, ob das für die englische Sprache wirklich von Vorteil war.

Da es offensichtlich einen Großteil der Menschen einen feuchten Dreck kümmert, wie schlecht formuliert, grammatikalisch falsch oder mit nicht existenten Wörtern ihre Veröffentlichungen (wissenschaftliche Paper, Bücher, Briefe, Vortragsfolien etc. pp) sind, lässt niemand mehr korrekturlesen. Wenn jemand bei einem Vortrag mal einen Fehler macht, finde ich das nicht so gravierend. Akzente sind eher amüsant als störend, jedenfalls meistens. Aber wenn so grauenhafte Vergewaltigungen der englischen Sprache wie “it was exposured” (zu Deutsch: “wird ge-Aussetzung-t”) auch noch geschrieben und gedruckt werden, dann rollen sich mir die Fußnägel hoch. Ich will gar nicht wissen, wie es da einem Muttersprachler geht.

Eine Fremdsprache nicht perfekt zu beherrschen, ist kein Verbrechen. Nicht den Anspruch zu haben, seinen Namen nur unter ein sprachlich zumindest mehr oder weniger korrektes Dokument zu setzen, dagegen schon.

Zum Schluss: Englisch wird in vielen Ländern gesprochen, mit unterschiedlichsten Akzenten und unterschiedlichen Auslegungen der Grammatik. Obwohl ich durchaus gewillt bin, ein Auge zuzudrücken, wenn etwas auf Kenianisch in Ordnung ist, aber kein Oxfordenglisch, finde ich schon, dass offizielle Dokumente (also internationale Websites, papers, Fachbücher) erst dann in Indian English oder Pidgin English geschrieben werden dürfen, wenn der erste Gesetzesentwurf auf Plattdeutsch und die erste Edition von “Angewandte Chemie” auf bayerisch erschienen sind. Sprechen – da gelten andere Maßstäbe, meiner Meinung nach.

Posted in Uncategorized | Tagged , , , , | 1 Comment

Multinationales Studium

 

If you do not speak German, but would like an insider’s opinion on the FAME – Functional Advanced Materials Engineering – Master Programme, feel free to contact me.

“Internationale Erfahrung” ist wohl eines der bekannteren Wörter, die gefühlt auf jedem Bewerbungsschreiben dabeisein müssen. Unter anderem dafür ist auch der Bologna-Prozess in die Wege geleitet worden, um Studenten ein Auslandssemester zu erlauben. Darüberhinaus wächst die Anzahl von Doppelstudiengängen.

Bologna – ein Begriff mit viel Hoffnung, der aber leider zu mehr Verdruss geführt hat. Obwohl sich die Zahl der Studenten, die mindestens ein Semester ihres Studiums im Ausland verbringen, seit 1995 von 2,4 auf 4 % fast verdoppelt hat, muss ich basierend auf meinen persönlichen Erfahrung sagen, dass dies wohl eher trotz  als wegen des Bologna-Prozesses erfolgte. Auf der Homepage des Bundesministeriums für Bildung und Forschung heißt es

“Ziel des 1999 in der italienischen Universitätsstadt Bologna angestoßenen Hochschulreformprozesses ist es, international akzeptierte Abschlüsse zu schaffen, die Qualität von Studienangeboten zu verbessern und mehr Beschäftigungsfähigkeit zu vermitteln.”

Was international akzeptierte Abschlüsse angeht, kann ich das nicht unterschreiben. Eher im Gegenteil scheint sich doch der Trend hin zu “Eliteuniversitäten” zu entwickeln und gefördert zu werden – und das europaweit. Anstatt dass die Abschlüsse vergleichbar werden, zählt der Name der Universität auf dem Papier mehr als die Note, die draufsteht. Manche Universitäten und Hochschulen hängen jeden Monat das aktuelle Ranking ans Schwarze Brett und markieren sich selbst darauf. Wie soll es da erst möglich sein, grenzübergreifend vergleichbare Abschlüsse zu erhalten?

Die meisten Universitäten sind meiner Erfahrung nach überzeugt davon, selbst die einzig richtigen Module und Kurse anzubieten. Oft kann man sie nicht einmal durch exakte Vergleiche der einzelnen Vorlesungen überreden, dass der Kurs “Inorganische Halbleiter: Theorie und Herstellung” mit dem Modul “Physik und Herstellung inorganischer Halbleiter” völlig identisch ist. Ich möchte an dieser Stelle nicht ins Detail gehen, was die Lehrmethoden und die Vorstellung eines Studiums angeht, da ich da an einer größeren Reihe arbeite. Aber Tatsache ist, dass man oft nur so ein Semester an einer ausländischen Uni absolvieren kann, wenn man dafür in Kauf nimmt, dass einem die meisten Leistungen nicht anerkannt werden. Ausnahmen sind Universitäten, die eine formelle Partnerschaft mit der Heimuniversität haben.

Ich glaube, daran liegt auch die fortgesetzte Beliebtheit, der sich Doppelstudiengänge erfreuen. Hätte Bologna so funktioniert, wie viele Studenten es sich erträumt haben, wären diese Doppelstudiengänge überflüssig geworden, da man problemlos sein Studium woanders fortsetzen kann. Doppelstudiengänge gibt es in den verschiedensten Variationen, viele sind EU-gefördert. Näher kennengelernt habe ich natürlich nur meinen eigenen: FAME (Functional Advanced Materials Engineering). Sieben Universitäten, vier Länder, zwei Jahre, als Ziel einen Master Abschluss von zwei Universitäten.

Mal abgesehen davon, dass ich immer mehr den Eindruck gewinne, dass es in akademischen Kreisen zu einem Großteil um Vitamin B geht und man da die Gelegenheit hat, selbiges an zwei Universitäten zu sammeln, halte ich die Idee für wunderbar. Zwei Länder kennenlernen und dabei mit dem Studium fachlich doch vorankommen klingt einfach mal wunderbar für Reiselustige. Die Vorlesungen werden auf Englisch gehalten und Erasmus Mundus stiftet recht großzügige Stipendien (von denen jedoch ein guter Brocken als “Studiengebühren” wieder wegfällt). Ich denke auch, dass es sinnvoll ist, Graduierte zu haben, die sich zwei Universitäten verbunden fühlen. Meiner Meinung nach kann es der Forschung gut tun, wenn man Wissen, Kompetenzen und Ideen austauscht. Es ist eine Art Entgegensteuern der zunehmenden Vereinnahmung der Universitäten von der Industrie, die erstere als ihre privaten Laboratorien betrachtet und alle Erkenntnisse verdeckt hält.

Leider muss ich sagen, dass es auch enttäuschende Momente gab. Als jemand, der schon öfter an Austauschprogrammen teilnahm, überrascht es nicht sonderlich, dass man administrativ eine Art exotisches Tier darstellt, für das sich niemand verantwortlich fühlt. Informationen zum studentischen Alltag bekommt man oft nur von “einheimischen” Studenten. Ob diese ihre Informationen ihrerseits nun durch ihre Erfahrung in anderen Semestern oder göttliche Eingebung erhalten haben, weiß ich nicht.

Viel enttäuschender ist jedoch die meiner Meinung nach mangelnde Selbstverpflichtung der einzelnen Universitäten gegenüber dem Ziel der Zusammenarbeit, der Synergie der einzelnen Hochschulen. Es spricht natürlich überhaupt nichts dagegen, an einer der Partneruniversitäten Werbung für das Programm zu machen. Was mir persönlich bitter aufstößt ist jedoch, dass mehr als eine Universität die Mitarbeit an FAME nicht als solche versteht sondern als bequeme Möglichkeit, ihre Studenten ins Ausland zu schicken, ohne sich mit Erasmus herumärgern zu müssen. Ich finde es nicht richtig, ein Programm, dass internationale Zusammenarbeit und multinationale Erfahrungen fördern soll, damit einzuleiten, wie man es hinbiegen kann, möglichst wenig Zeit im Ausland zu verbringen und trotzdem ein doppeltes Masterzeugnis zu erhalten.

Desweiteren stimme ich zu, dass es gut ist, die “internationalen” Studenten mit den “eigenen” Studenten zusammen in die Vorlesungen gehen zu lassen, es soll ja auch sozial eine Erfahrung sein. Es ist auch einleuchtend, dass man bei 30 neuen Studenten aus den verschiedensten Ländern und Hochschulsysthemen mit den verschiedensten Abschlüssen und Vorkenntnissen erst einmal sicherstellen muss, dass alle die erforderlichen Grundlagen haben. Wenn es dann jedoch dazu führt, ein Masterstudium mit dem Stoff der 9. Klasse Physik zu beginnen, geht es zu weit. Besonders an Universitäten, wo Anwesenheit bei Vorlesungen Pflicht ist, demotiviert es fürchterlich, ein Semester lang die Wiederholung seines Bachelorstudienganges zu hören. Ebenso überflüssig ist es, im ersten und im zweiten Jahr genau die gleichen Vorlesungen belegen zu müssen, weil das System nicht flexibel genug ist. Will man Studenten ermöglichen, das immense Potential, an zwei Universitäten studieren zu dürfen, auch zu nutzen, muss man ihnen mehr Freiheiten zugestehen, möglicherweise auch mehr als den “eigenen” Studenten. Es muss wenigstens an Partneruniversitäten möglich sein, Fächer zu belegen, die man noch nicht zweimal bereits gehört hat. Doppelstudiengänge haben gegenüber Erasmusaufenthalten eben gerade den Vorteil, dass sie einem ermöglichen, das fachliche Angebot wirklich zu nutzen, denn die Leistungen zählen. Aber dann sollten sie das auch wirklich tun, statt die Studenten an der kurzen Leine zu halten.

Nochmal: ich halte Doppelstudiengänge für eine gute Sache – aber die Universitäten müssen über ihren Schatten springen und akzeptieren, dass sie die Wahrheit nicht gepachtet haben, dass sie diese internationalen Studenten nicht so beengen und überwachen können wie das mit den eigenen Studenten möglich ist.

Das Erasmusprogramm unter Studenten ist sehr beliebt und es ist tatsächlich etwas wie eine große Gemeinschaft. Man gehört gewissermaßen zu einer Familie, wenn man “Erasmus” ist. Obwohl ich die Art und Weise, wie Universitäten die Auslandserfahrungen ihrer Studenten administrativ gestalten, sehr kritisch bewerte, kann ich es jedem nur empfehlen. Abgesehen von dem immensen Vorteil, eine zusätzliche Sprache zu lernen, finde ich es wichtig, andere Herangehensweisen kennen zu lernen. Man versteht die Mentalität eines Volkes eben oft nur – oder beginnt sie zu verstehen – wenn man mit den Menschen dort zusammengelebt hat. Man lernt andere Hochschulsysteme kennen und bewertet dadurch sein eigenes aus einer völlig anderen Perspektive. Nicht zuletzt: man findet Freunde für’s Leben, so klischéehaft das auch klingt, und man hat bis ans Ende seines Lebens jede Menge zu erzählen.

Posted in Mensch und Natur, Politik | Tagged , , , , , , , , , , | Leave a comment

Interkalationsbatterien – Lösungsvorschläge

Der heutige Beitrag ist eigentlich mein Seminarthema. Obwohl ich am Anfang nicht viel damit zu schaffen haben wollte, fand ich es dann doch äußerst faszinierend und stelle daher diesen kurzen Überblick online.

Nachdem ich letzte Woche erzählt habe, was alles an Li-Ion-Batterien schlecht ist, stelle ich euch jetzt mal ein paar Ideen vor, wie man sie besser machen könnte.

Fangen wir bei der Anode an. Forscher an der University of Maryland haben Viren, die normalerweise Tabakpflanzen befallen, genetisch so manipuliert, dass diese sich auf einem flachen Substrat anordnen wie Soldaten beim Appell. Das ganze sieht dann aus wie eine nanoskopische Haarbürste, mit den Viren hübsch aufrecht auf der Oberfläche. Auf die Viren wird nun Nickel aufgedampft und auf das Nickel kommt Silizium. Nickel brauchen wir um das Elektron, welches dann in das zu betreibende Gerät fließt, abzutransportieren. In das Silizium schieben wir die Lithiumionen. Pro Siliziumatom können dabei maximal 3,75 Liatome aufgenommen werden, und damit haben wir nahezu die Kapazität von reinem Lithium wieder erreicht. Traditionell wäre das nicht möglich, da das Silizium auf bis zu 400% seines ursprünglichen Volumens anschwillt, wenn es voll interkalatiert ist, und diese Veränderungen zu mechanischen Spannungen und Versagen führen würden. Aber als nanostrukturierte dünne Schicht hat das Silizium quasi Platz, sich auszudehnen und somit entstehen keine Spannungen. Außerdem führt eine große Oberfläche zu schnellerer Reaktion, was gut für unsere Leistungsdichte ist.

Das mit den Nanomaterialien ist überhaupt eine tolle Idee, da plötzlich eine ganze Menge an Verbindungen, die man schon als unbrauchbar aussortiert hatte, plötzlich wieder zur Auswahl stehen. TiB2, zum Beispiel. Es bildet eine kristalline Struktur, die Li-Ionen interkalatieren kann und kann als lange Nanowires hergestellt werden. Damit haben Li-ionen einen kurzen Weg bis zum Zentrum des Nanowires, aber durch die große Länge ist die Wahrscheinlichkeit, dass sich alle berühren, sehr groß. So entsteht ein elektrisch leitfähiges Netz, dass die Li-Ionen und Elektronen zusammenbringt.

Ein ähnliches Konzept gibt es auch für Kathoden. Hier wird das elektrisch leitfähige Netz von Graphen gebildet und in diesem hängen wie in einem Spinnennetz MnO2 Nanowires, die Li aufnehmen können. Wieder werden Ionen und Elektronen zusammengebracht und gleichzeitig die Oberfläche vergrößert und die Wege für Lithium verkleinert.

graphen-Manganoxid electrode - Schema (Radich und Kamat, 2012)

graphen-Manganoxid electrode – Schema (Radich und Kamat, 2012)

Es gibt allerdings auch Forscher, die in ganz andere Richtungen gehen – nämlich die Lösung in der organischen Chemie suchen. Die Idee dahinter ist, dass die Komponenten von organischen Molekülen, nämlich Sauerstoff, Stickstoff, Kohlenstoff, Wasserstoff in nahezu unbegrenzten Mengen verfügbar ist. Damit hätten wir das Problem der kostspieligen Elemente wie Kobalt und Titan gelöst. Außerdem ist zwischen den langen Polymermolekülen ziemlich viel Platz für die Li-Ionen. Da Plastik oft keine weitreichende Struktur besitzt, entstehen durch die Interkalation keine mechanischen Spannungen. Das Problem ist allerdings, dass Kathoden aus Molekülen gerne mal vom Elektrolyten aufgelöst werden. Also ist es ein bisschen so, wie mit einem Dach aus Salzkristallen den Regen abhalten zu wollen.

Wie so oft gibt es aber auch immer wieder Forscher, die ganz radikale Lösungsvorschläge bieten. Rudola und Team (2013) schlagen vor, das Lithium einfach ganz zu eliminieren. Es gibt nämlich nicht so viel davon auf der Erde, und wenn alle Elektroautos wollen, könnte es durchaus knapp werden. Stattdessen schlagen sie Natrium vor. Es ist zwar wesentlich schwerer, aber dafür leichter herzustellen und nicht so reaktiv, was die Sicherheit verbessern würde. Es kann ebenfalls in Titandioxid interkalatiert werden.

Viele Forscher sehen auch große Hoffnungen in der Nanotechnologie, die immer ausgefeiltere Strukturen in kleinster Dimension bauen kann. Dreidimensional strukturierte Nanopartikel könnten in der Zukunft den Ionenaustausch noch effizienter und schneller werden lassen. Völlig neue Materialien und Verbindungen könnten wesentlich bessere Ergebnisse liefern.

Entwicklung der Strukturierung von Elektroden

Entwicklung der Strukturierung von Elektroden

Das Problem ist allerdings: besser als Li geht nicht, von der Kapazität her. Das einzige, was leichter wäre, ist Wasserstoff. Und in der Tat gibt es die Meinung, das Interkalationstechnologie am Ende ihrer Weisheit sei und man sich stattdessen mit Umwandlungsbatterien befassen sollte. Eben genau mit Wasserstoff als Ladungsträger. Derzeit bevorzugt die Autoindustrie diese Nickelmetallhydridbatterien auch. Dennoch finde ich es übereilt, die Flinte ins Korn zu werfen. Jeden Monat findet jemand eine ausgefuchste Möglichkeit, mehr Leistung, mehr Energie, mehr Kapazität aus neuen und anders verarbeiteten Materialien rauszukitzeln. Fazit: es bleibt spannend.

Posted in Forschung, Mensch und Natur | Tagged , , , , , , , , , , , , , , , , , | 1 Comment

Interkalationsbatterien – Das Problem

Der heutige Beitrag ist eigentlich mein Seminarthema. Obwohl ich am Anfang nicht viel damit zu schaffen haben wollte, fand ich es dann doch äußerst faszinierend und stelle daher diesen kurzen Überblick online.

Bei dieser Überschrift stellt sich sofort die Frage, was Interkalation eigentlich sein soll. Langer Rede kurzer Sinn, es ist der Typ, zu dem auch die allgegenwärtigen Lithium-Ionen-Batterien gehören (ja genau, das flache Ding hinten im Handy drin, oft in einer grauen Plastikhülle…). Interkalation heißt eigentlich bloß “Einschiebung”, die Lithium (Li) Ionen werden nämlich in die Kristallgitter der Elektroden eingeschoben, ohne diese chemisch sonderlich zu verändern.

Schema einer Li-Ion-Batterie (DoITPoMS)

Schema einer Li-Ion-Batterie (DoITPoMS)

Bevor wir ins Detail gehen, möchte ich allerding kurz erklären, warum Batterien im Allgemeinen und Interkalationsbatterien im Besonderen die Wissenschaft so in Atem hält. Einen Punkt habe ich schon genannt: elektrische Geräte. “Ohne Strom kein elektrisch”, wie mein Mann immer sagt, und jeder, der schon einmal im EC-Zug der Deutschen Bahn seinen Laptop benutzen wollte, weiß, dass Steckdosen durchaus Mangelware sein können. Sei es Computer, Telefone, Kameras, Lampen, ohne Batterien würden wir einen Großteil der uns so wichtigen Flexibilität einbüßen. Darüberhinaus ist die Batterietechnologie aber auch Dreh- und Angelpunkt der Nutzung von erneuerbaren Energien und Elektroautos. Der Wind weht nicht immer, die Sonne scheint nachts nicht – doch Strom brauchen wir dennoch. Was liegt da näher, als ihn zu speichern.

Nächste Frage: was wollen wir eigentlich von einer Batterie? Die Liste ist länger, als man denkt. Aufladbarkeit ist vielleicht noch recht offensichtlich, auch, dass die Batterie nach dem tausendsten Ladezyklus immer noch funktionieren sollte. Nicht so augenscheinlich ist vielleicht die Form der Entladekurve. Elektrische Geräte reagieren meist etwas eingeschnappt auf plötzliche Leistungsänderungen – also wollen wir, dass die Batterie gleichmäßig entlädt – das ist gar nicht so einfach zu erreichen. Änderungen der kristallinen Struktur zum Beispiel könnten das Verhalten der Batterie verändern. Abgesehen von noch ein paar anderen Kriterien ist bei weitem am wichtigsten die Energie- und die Leistungsdichte der Batterie. Oh, und kosten sollte sie natürlich auch nicht die Welt. Schließlich wollen wir mit der Ölindustrie konkurrieren.

Der aktuelle Stand sind Li-Ion-Batterien. Das ganze funktioniert so: an der Anode wird ein Lithium oxidiert und damit zum Ion. Das abgegebene Elektron wird durch die Anode extrahiert und sorgt dafür, dass der Laptop euch diesen wunderschönen Eintrag anzeigen kann. das Li-ion wandert nun durch eine Trennwand, den Elektrolyten. Der ist dazu da, dass die Elektronen nicht direkt zur Kathode sausen, dann gibt es nämlich einen Kurzschluss, die Batterie fliegt in die Luft – wollen wir alles nicht. Also wandert nur das Li-ion durch die Trennwand zur Kathode, trifft sich dort mit seinem Elektron wieder und feiert eine schöne Party. Beim Aufladen läuft das ganze umgekehrt.

Schematische Darstellung des Innenlebens einer Li-Ion-Batterie (Axeon)

Schematische Darstellung des Innenlebens einer Li-Ion-Batterie (Axeon)

Warum ausgerechnet Lithium? Nun, weil Li das leichteste Element ist, das eine volle Ladung transportieren kann und daher die höchste Energiedichte verspricht. So schön es auch wäre, reines Lithium zu benutzen, macht die Natur uns da einen Strich durch die Rechnung. Kleinste Ladungsschwankungen können nämlich dazu führen, dass sich das Lithium nicht etwa gleichmäßig an der Anode anlagert sondern in kleinen Verästelungen, Dendrite genannt. So hübsch das auch aussieht, es ist ein großes Problem, weil nämlich die Gefahr besteht, dass diese Finger durch den Elektrolyten wachsen und eine Verbindung mit der Kathode herstellen  – Kurzschluss, Explosion, das ganze Programm. Deswegen benutzen wir auch Interkalationsbatterien, wo das Lithium in Graphit eingelagert wird, wie oben gezeigt. Diese Schichten, die wie der Querschnitt von Bienenwaben aussehen. Das reduziert durch das zusätzliche Material die Kapazität auf ein Zehntel im Vergleich zur theoretischen Kapazität von reinem Lithium. Geht nur leider nicht anders.

Es kommt aber noch schlimmer. Das Material für die Kathode ist ein Oxid aus Lithium und Kobalt. Da geht’s auch schon los, wir mögen Kobalt nämlich nicht. Es ist teuer, es ist selten und es wird in der Demokratischen Republick Kongo produziert und von China weiterverarbeitet, beides Länder, von denen man hier im Westen nicht so gern abhängig wäre.

Wir mögen aber eigentlich auch Li-Co-O ganz allgemein nicht. Wenn wir nämlich mehr als die Hälfte der Li-ionen entfernen (beim Aufladen der Batterie), verändert es seine kristallographische Struktur. Das führt zu mechanischen Spannungen und nach zwei-drei Zyklen können wir die ersten Risse beobachten. Für eine aufladbare Batterie schlechte Voraussetzungen.

Als würde das alles noch nicht genügen, hat Li-Co-O auch noch nur ein Drittel der Kapazität im Vergleich zum Graphit auf der Anodenseite. Damit das ganze also im Gleichgewicht bleibt, müssen wir dreimal soviel Kathodenmaterial einbauen. Mal abgesehen von dem Gewicht, das unser elektrisches Auto zusätzlich mitschleppen müsste, verlängern wir dadurch auch den Weg des Li-ions und die Batterie entlädt noch langsamer als eh schon. Je langsamer die Batterie entlädt, desto weniger Leistung bringt sie aber auch – und damit brauchen wir mehr Batterien im Auto, wenn wir über 30 km/h fahren wollen.

Wir sind also noch lange nicht am Ende aller Träume, was Batterieentwicklung angeht. Aber zum Glück gibt es eine Menge kluger Köpfe, die sich mit dem Problem beschäftigen und uns mit Lösungsvorschlägen versorgen. Davon möchte ich euch ein paar von den meiner Meinung nach wissenschaftlich interessanteren nahebringen – nächste Woche.

Posted in Forschung, Mensch und Natur | Tagged , , , , , , , , , , , | 1 Comment